Im Untergrund und in Dunkelheit beginnt eine neue Lebensmittelindustrie

Was wäre, wenn die radikalste Innovation in der Lebensmittelproduktion aus einem Organismus stammt, den wir bisher vor allem aus modrigen Kellern und von Waldspaziergängen kennen? Wenn die Zukunft des Essens nicht auf dem Acker wächst, sondern im Dunkeln? Nicht in hell erleuchteten Gewächshäusern oder sterilen Laboren, sondern in alten Brauereikesseln. Was wäre, wenn das unscheinbare Geflecht unter der Erde – Pilzmycel – der fehlende Baustein eines nachhaltigen Ernährungssystems wäre? Ein Gastbeitrag von Infinite Roots.

Kein Hype, keine KI, keine Robotics. Mycelium ist leise. Aber effizient: Es wächst in Bioreaktoren binnen weniger Tage, braucht kaum Fläche, fast kein Wasser, keine Pestizide. Es ernährt sich von Reststoffen, bindet CO₂ und liefert ein eiweißreiches Produkt mit fleischähnlicher Textur. Eine stille biologische Revolution – die bislang kaum jemand sieht.

Die Rückkehr der Fermentation

Das Unternehmen Infinite Roots kultiviert Pilzbiomasse.

Das Hamburger Start-up Infinite Roots ist eines der wenigen Unternehmen in Europa, die diesen Prozess systematisch auf Pilzmycelium anwenden. In Edelstahl-Tanks kultiviert das Team Pilzbiomasse auf Basis von Biertreber, Molke und anderen Reststoffen. Das Ergebnis ist ein nährstoffreiches Substrat, das je nach Basisstoff und Fermentationsparametern – etwa Temperatur, pH-Wert, Belüftung oder Fütterung – ganz unterschiedliche Eigenschaften annehmen kann. 

Es entstehen Texturen, die mal an Hackfleisch, mal an Frischkäse oder Eiscreme erinnern. Der Geschmack entsteht dabei stets in dem Mycel selbst – ganz ohne künstliche Aromastoffe oder Additive. Umami, Säure, Milde oder Tiefe sind kein Labortrick, sondern das Ergebnis biologischer Selbstorganisation. Die Produkte sind daher nicht nur vielseitig einsetzbar, sondern auch überraschend nah an traditionellen Geschmacksprofilen. Statt hyperrealistischer Fleischersatz-Produkte setzt man auf Umami, Nährstoffdichte und Textur.

Neu ist nicht nur das Produkt, sondern das System dahinter. Statt in eigene Fabriken zu investieren, setzt das Unternehmen auf ein Asset-light-Modell: Brauereien, Molkereien und Lebensmittelhersteller stellen ungenutzte Infrastruktur zur Verfügung – Tanks, Wärme, Nebenströme. Die Produktion wird vernetzt, nicht zentralisiert.

Die Unsichtbarkeit des Neuen

Im öffentlichen Diskurs aber ist Mycelium bisher nahezu unsichtbar. Alternative Proteine – das bedeutet meist Soja, Erbsen oder Hafer. Zellkultur-Fleisch bekommt Aufmerksamkeit, aber keine Marktreife. Und Pilzmycel? Gilt als erklärungsbedürftig, fremd, schwer einzuordnen.

Dabei sprechen die Daten für die Pilze: Bis zu 500-mal weniger Fläche als Rindfleisch, 200-mal weniger Wasser. Produktion in wenigen Tagen, ohne Gentechnik, lokal skalierbar. Laut einer Studie von Systemiq könnte die Proteindiversifizierung – Mycelium inklusive – die deutsche Wirtschaft um Milliarden entlasten und klimaresilienter machen.

Was fehlt, ist nicht die Evidenz. Es fehlt das Bild. Der emotionale Anker. Wer Mycelium erklärt, muss ausholen. Wer „Burger“ sagt, wird verstanden.

Vielleicht liegt genau darin die eigentliche Herausforderung. Mycelium ist kein Ersatzprodukt. Es ist Infrastruktur. Ein biologisches Betriebssystem, das sich zwischen Landwirtschaft, Biotechnologie und Kreislaufwirtschaft bewegt. Es passt nicht in bestehende Fördertöpfe, nicht in bekannte Geschäftsmodelle – es braucht eigene.

Das Unternehmen Infinite Roots sieht sich nicht als Fleischersatzproduzent, sondern als Baumeister einer neuen Lebensmittelarchitektur. Das klingt groß. Ist es auch. Der Anspruch: Nicht das Bestehende zu optimieren – sondern es zu überwinden. Und so wächst im Untergrund, dem Boden auf den die Menschen seit so vielen Jahren schon laufen, völlig unbemerkt vielleicht ein Neuanfang, der erst jetzt entdeckt wird.

Dieser Gastartikel wurde von Infinite Roots verfasst.

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