Interview mit dem Ingenieur Ralf Pecena vom Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie
Moore können das Klima schützen – oder aber ihm ordentlich schaden. Denn nasse Moore speichern CO2, trockene dagegen geben CO2 ab. Der Großteil der Moorflächen ist bis in die 1970er Jahre trockengelegt worden, unter anderem, um die Fläche für die Landwirtschaft zu schaffen. Um das Klima zu schützen, sollen trockene Moore wieder nass werden. Für Landwirt:innen ein Problem, denn eine herkömmliche landwirtschaftliche Nutzung der Böden ist dann nicht mehr möglich. Hier kommt die Paludikultur ins Spiel: Dabei werden Pflanzen wie etwa Schilf, Seggen oder Torfmoos angebaut, die an die speziellen Bedingungen im Moor angepasst sind. Doch wie lässt sich die Biomasse dieser Pflanzen, auch Paludi-Biomasse genannt, wirtschaftlich verwerten? Und für welche Produkte kann sie genutzt werden? Mit diesen Fragen beschäftigen sich die Forschungsprojekte BLuMo und WetNetBB. Einer der beteiligten Forscher ist der Ingenieur Ralf Pecenka, er leitet die Arbeitsgruppe “Verfahrenstechnik für Energiepflanzen” am Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie in Potsdam. “Mission Morgen”-Autorin Alea Rentmeister hat ihn dort besucht.

Mission Morgen: Bund und Länder wollen durch die Wiedervernässung von Mooren die jährlichen Emissionen aus Moorböden bis 2030 um etwa zehn Prozent reduzieren. Halten Sie es für realistisch, dass das in den nächsten fünf Jahren tatsächlich klappt?
Bund-Länder-Zielvereinbarung zur Erreichung der Ziele des Bundes-Klimaschutz-Gesetzes
“Bund und Länder streben an, die jährlichen Treibhausgasemissionen aus Moorböden von ca. 53 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Äquivalenten (2019) bis zum Jahr 2030 um 5 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Äquivalente zu senken”, so steht es in der 2021 geschlossenen Bund-Länder-Zielvereinbarung zur Erreichung der Ziele des Bundes-Klimaschutz-Gesetzes: https://www.bmleh.de/DE/themen/landwirtschaft/klimaschutz/moorbodenschutz.html
Ralf Pecenka: Schwierige Frage. Ich könnte jetzt sagen, ich bin ja nur ein Forscher, aber ich bin tatsächlich ziemlich optimistisch. Es wird sehr schwierig, aber nicht unmöglich, denn wenn ein großer Akteur beschließt, in diesen Markt einzusteigen, können die Dinge manchmal ziemlich schnell gehen. Aber wenn wir mit der Geschwindigkeit weitermachen, die wir derzeit haben, werden wir das Ziel nie erreichen, es besteht definitiv noch großer Handlungsbedarf. Im Moment ist es ein langwieriger Prozess, weil viele Leute ihre Zustimmung zur Renaturierung von Flächen geben müssen: Behörden, Landbesitzer, Landwirte, Nachbarn der Landwirte. Mit den derzeitigen Vorschriften wird es also sehr schwierig sein, dieses Ziel zu erreichen. Aber es wird diskutiert, ob sich die Prozesse vereinfachen lassen und wenn es mehr finanzielle Anreize gibt, dann können die Dinge auch schneller vorangehen.

Nehmen wir einmal an, ich bin Landwirtin, habe meine Felder wiedervernässt und möchte deshalb von der Produktion von Weizen oder Getreide auf Schilf oder Rohrglanzgras oder Ähnliches umsteigen. Was sind denn die wichtigsten Schritte, die ich in Bezug auf Lagerung, Maschinen usw. verändern müsste?
Tatsächlich braucht man dafür ganz andere Maschinen, das ist ein großes Problem. Konventionelle Landwirte haben Mähdrescher und andere Standardmaschinen, die für wiedervernässte Moore meist nicht geeignet sind, weil sie zu schwer sind. In einigen Gebieten kann man seinen Traktor ein wenig umbauen, sodass man dann damit auch auf den nassen Wiesen fahren kann. Aber letztendlich braucht man leichte Maschinen, weil man sonst einsinkt. Deshalb werden spezielle Erntemaschinen auf Raupenbasis (Anm. d. Red.: Fahrzeug, dessen Antrieb über Raupenketten statt über Räder erfolgt) entwickelt, aber das sind dann oft sehr teure Spezialmaschinen. Irgendwo dazwischen liegt wahrscheinlich die Zukunft, dass man zum einen leicht modifizierte Traktoren mit Spezialreifen und zum anderen neue Spezialmaschinen hat. Die nächsten Schritte dann sind konventionellen Landwirten schon vertraut: Wenn das Wetter gut ist, können sie ihre Paludi-Biomasse wie normales Heu lagern. Dafür brauchen sie im Sommer mehr oder weniger trockene Felder, um das Heu zu trocknen. Das könnte teilweise schwierig sein, aber alternativ können die Landwirte aus der Paludi-Biomasse auch Silage herstellen. Denn aus nasser Biomasse Silage herzustellen, ist ein Standardverfahren, das Landwirte durch die Maissilage kennen. Wir haben das bereits zusammen mit einem Landwirtschaftsbetrieb ausprobiert und mehr als 500 Tonnen Silage aus dieser Paludi-Biomasse hergestellt und es hat perfekt funktioniert.

Viele Landwirt:innen zögern, ihre Flächen wiederzuvernässen, weil es noch kaum industrielle Abnehmer für Paludi-Biomasse gibt. Gleichzeitig kann die Industrie nicht richtig loslegen, weil es noch nicht genug Angebot an Paludi-Biomasse gibt. Eine Art Henne-Ei Problem. Wie können Landwirtschaft und Industrie hier zusammenkommen?
Ja, das ist tatsächlich ein Problem. Wir sind in Kontakt mit kleinen Familienbetrieben, aber auch mit größeren landwirtschaftlichen Betrieben, die bereits kleinere Flächen wiedervernässt haben und Paludi-Biomasse produzieren – aber das reicht noch nicht. Denn wenn große Industrieunternehmen solche Biomasse nachfragen, dann braucht man zum Beispiel für einen kleinen Test in einer Papierfabrik schon mindestens zehn Tonnen Biomasse. Und das ist dann nur ein kleiner Test für ein paar Stunden in einer großen Papierfabrik – wenn man wirklich ins Geschäft kommen will, dann reden wir über Hunderte oder Tausende von Tonnen, und dann haben wir genau dieses Henne-Ei-Problem: Denn dann reichen diese kleinen Orte, die bereits wiedervernässt wurden und von denen wir unser Material beziehen, nicht mehr aus.
Was ist Ihr Vorschlag, um dieses Problem zu lösen?
Als Forschungseinrichtungen versuchen wir, wirtschaftlich interessante Produktlösungen für die Landwirte und für die Industrie zu entwickeln. Wenn also die Industrie an solchen Produktlösungen interessiert ist, wird die Nachfrage nach Paludi-Biomasse steigen. Auf der anderen Seite haben wir auch Kontakt zu den Landwirten und arbeiten daran, Logistikketten zu entwickeln. Dabei versuchen wir herauszufinden, wie viel Material für welches Produkt benötigt wird, wie es gelagert, geerntet, transportiert werden kann und so weiter, und dann versuchen wir, die Menschen zusammenzubringen. Die Grundidee ist jedoch: Wenn man konkrete Produkte hat, wenn die Menschen einen Preis kennen und wenn sie mit diesen Produkten ein vergleichbares Geschäft machen können, wie sie es jetzt tun, dann sollte sich eine Marktnachfrage entwickeln.
Sie stehen mit beiden Seiten in Kontakt – mit den Landwirt:innen, aber auch mit industriellen Betrieben. Welche Bedenken gibt es denn, in Paludi-Biomasse zu investieren?
Nun, die Industrie weiß nicht, ob es in Zukunft eine zuverlässige Rohstoffversorgung für diese Materialien geben wird, da sie jeden Tag eine bestimmte Menge an Material in gleichbleibender Qualität benötigt. Wer mit natürlichen Materialien arbeitet, weiß, dass sich die Qualität verändert und viel von den Wetterbedingungen auf dem Feld und der landwirtschaftlichen Betriebsführung abhängt. Außerdem hat man auch wechselnde Bedingungen auf dem Feld: ein Feld ist nicht an jeder Stelle gleich, manche Felder bestehen aus einer Mischung aus, sagen wir, Schilf und Seggen, aber der industrielle Prozess funktioniert möglicherweise mit nur einem Rohstoff am besten. Wir brauchen also auch etwas intelligentere industrielle Prozesse, die auch mit diesen Qualitätsschwankungen besser umgehen können.
Und bei den Landwirt:innen?
Für die Landwirte besteht ein großes Risiko – denn wenn sie sich einmal dazu entschließen, ihre Flächen wieder zu vernässen, dann gibt es kein Zurück mehr: Auf diese Art der Landwirtschaft umzustellen, ist ein langwieriger Prozess und mit viel Arbeit verbunden, beispielsweise der Planung des gesamten hydrologischen Systems. Außerdem müssen auch die benachbarten Feldbesitzer damit einverstanden sein. Wenn Ihr Feld erst wieder vernässt worden ist, dann wird Ihnen auch aus Umweltgründen niemand mehr erlauben, es wieder zu entwässern. Es handelt sich also um eine langfristige Entscheidung und um die zu treffen, brauchen Landwirte die Sicherheit, dass es Abnehmer für die von ihnen produzierte Biomasse gibt. Andernfalls besteht keine Chance, dass sie etwas ändern.
Wir stellen immer noch fest, dass zwischen der Industrie und den Landwirten eine Verbindung fehlt. Ein Unternehmer, der die gesamte Verarbeitung der Biomasse übernimmt. Bei vielen Produkten ist die Industrie nicht daran interessiert, die ursprüngliche Paludi-Biomasse zu kaufen, sondern möchte nur verarbeitete Paludi-Biomasse. Allerdings können nicht alle Landwirte die Biomasse direkt verarbeiten, nur ein paar wenige größere Betriebe können das. Es braucht also jemanden, der die Paludi-Biomasse weiterarbeitet, zum Beispiel zu Fasern oder Faser-Pellets, denn das ist ein Standardprodukt, mit dem die Industrie umgehen kann. Für ein solches Unternehmen bestünde das gleiche Risiko, es bräuchte gute Qualität und eine sichere Versorgung mit Paludi-Biomasse durch die Landwirte und gleichzeitig die Sicherheit, dass die Industrie an dem von ihm hergestellten Zwischenprodukt interessiert ist. Hier am Institut forschen wir zu diesem Zwischenschritt, um das Ganze in Gang zu bringen.
Sehen Sie denn potenzielle Akteure, die diese Lücke füllen und als Zwischenglied für Landwirt:innen und Industrie fungieren könnten?
Im Moment nicht so richtig. Es gibt zwar einige Landwirte, größere Betriebe, die daran interessiert sind, die Biomasse selbst weiterzuverarbeiten, aber das reicht definitiv nicht aus, um eine größere Industrie zu versorgen. Wenn wir zum Beispiel in den Zellstoff- und Papiermarkt einsteigen wollen, dann sprechen wir leicht von Tausenden Tonnen Biomasse. Dafür bräuchte man die Zusammenarbeit mehrerer größerer Betriebe.
Mal abgesehen von dieser Schwierigkeit – gibt es denn überhaupt genug Industrieunternehmen, die Produkte aus Paludi-Biomasse herstellen wollen?
Es sagen uns zumindest viele Unternehmen, dass sie daran interessiert sind. Zum Beispiel hat die “Allianz der Pioniere”, in der sich größere Unternehmen (Anm. d. Red.: Dazu gehören u.a. OBI, STRABAG, toom, OTTO und viele weitere) zusammengeschlossen haben, ihr Interesse an der Paludi-Biomasse bekundet. Wie lange dieses Interesse anhalten wird, das weiß niemand. Aber wenn man sich die riesigen Mengen an Biomasse ansieht, die jährlich für den Bau, für Zellstoff und Papier benötigt werden, dann sollte es eigentlich möglich sein, einen Markt für die Paludi-Biomasse zu finden.
Hier am Institut entwickeln Sie gemeinsam mit Ihren Kolleg:innen verschiedene Produkte aus Paludi-Biomasse. Berücksichtigen Sie dabei auch die Produktionskosten?
Ja, wir tun das für unsere Schritte, die Bewertung der Kosten in der Landwirtschaft spielt eine wichtige Rolle. Momentan sind fünf meiner Kollegen vor Ort und messen ständig alle Kosten, die mit den Maschinen während der Ernte verbunden sind. Sie kontrollieren, wie die Lagerung verläuft und wie hoch die Verluste während der Lagerung sind. Für alle Schritte gibt es zumindest einige Rahmenkosten. Im Moment sind die Kosten noch recht hoch, aber das ist immer so. Wenn man in größerem Maßstab produziert, mehr Wissen gewinnt und die Abläufe optimiert, dann werden die Kosten sinken. Aber all das braucht Zeit und die Frage ist, ob wir als Gesellschaft so viel Zeit haben und ob all die Entscheidungen, die getroffen werden müssen, um das System zum Laufen zu bringen, schnell genug getroffen werden können.

Ralf Pecenka will mir die Produkte zeigen, die sie hier am Institut schon aus Paludi-Biomasse hergestellt haben.
Von seinem Büro sind es nur ein paar Schritte zur “Pilotanlage Hanf”. Fotos sind drinnen nicht erlaubt. Wir gehen vorbei an Maschinen und Moorbiomasse, die auf den ersten Blick wie Heuballen aussieht. Am Ende der Halle liegt auf zwei Tischen eine Sammlung von Produkten, die das Forschungsteam schon hergestellt hat:
Papier
“Ein mögliches Produkt aus Paludi-Biomasse ist Papier, das später für Verpackungen, aber auch für den Druck dienen soll.”
Produktverpackungen aus Faserguss
“Ein anderes Produkt sind “Faserformteile” – das ist die technische Bezeichnung für Eierkartons oder auch Erdbeerschalen. Interessant könnte es z.B. sein, bestimmte Lebensmittelverpackungen herzustellen: Um Lebensmittel zu verpacken, die feucht oder fettig sind, braucht man Frischzellstoff – man darf kein Recyclingpapier verwenden. Und der Preis für eine Tonne Frischzellstoff – und nichts anderes ist die Paludi-Biomasse – liegt mehr als doppelt so hoch wie der Preis für eine Tonne Recyclingpapier. Das macht es wirtschaftlich interessant, in diesen Markt einzusteigen. Das Gute ist außerdem, dass man Verpackungen aus Paludi-Biomasse sehr einfach recyceln kann.”
Bau- und Dämmmaterial
“Eine einfache Möglichkeit ist, die Biomasse als Einblasdämmung zu nutzen. (Anm. d. Red.: Bei einer Einblasdämmung werden lose Dämmstoffe nachträglich in schwer zugängliche Hohlräume gefüllt, z.B. in den Hohlraum von zweischaligen Außenwänden).
Eine andere Möglichkeit ist es, Platten herzustellen, als Tischplatten, für Möbel oder für den Bau. Dafür nimmt man die Fasern, fügt Klebstoff hinzu und presst das Ganze dann unter hohem Druck und hoher Temperatur zusammen. Das Problem ist, dass diese Platten schwer sind und man viel Klebstoff benötigt. Im Moment können diese Platten deshalb noch nicht mit Holzfaserplatten oder Holzspanplatten konkurrieren.”
Briketts
“Aus der Biomasse lassen sich auch Briketts herstellen, um damit zu heizen. Aufgrund der chemischen Zusammensetzung weisen sie jedoch einen hohen Aschegehalt auf. Deshalb benötigt man spezielle Heizkessel, das wäre also eher etwas für industrielle Verbrennungsanlagen.”
Biobasierte Chemikalien als Basis für Plastik
“Wir forschen auch dazu, wie sich aus Biomasse Basischemikalien herstellen lassen, die die Industrie dann zur Herstellung von Kunststoffen nutzen kann, die biologisch abbaubar sind. Diese biobasierten Chemikalien sollen Chemikalien auf Erdölbasis ersetzen.”
Diese Recherche wurde vom Institut für Demokratie, Medien und Kulturaustausch e. V. unterstützt.