Fische neben Müll im Mittelmeer Fische neben Müll im Mittelmeer

Krise an der Küste: Barcelonas Kampf gegen den Meeresmüll

Plastikmüll hat die Weltmeere durchdrungen. Am Stadtstrand von Barcelona zeigt sich das Ausmaß besonders deutlich: Die Metropole kämpft gegen ein globales Müllproblem. Aber kommt der Wandel noch rechtzeitig? Eine Reportage über Müll, Aktivismus und Hoffnung am Mittelmeer.

In den frühen Morgenstunden gleicht der Strand einem Tatort. Im Sand stecken leere Plastikbecher, eine halbe Limette liegt verloren neben einem Strohhalm. Ein paar Schritte weiter gibt sich eine sichtlich zertretene weiße Rose ihrem Schicksal hin. Und in der Nähe einiger Felsen mehren sich Zigarettenkippen, gefolgt von einer angebrochenen Spritze. Wer sich auf die Suche begibt, kann die Geschehnisse der durchfeierten Nacht an Barcelonas Stränden nachkonstruieren. Was von Rausch und Feierstimmung nach der Morgendämmerung übrig bleibt, ist vor allem eines: Müll im Mittelmeer.

Kein anderes Meer der Welt ist so verschmutzt wie das Mittelmeer. Laut einer Studie der Weltnaturschutzunion landen darin jährlich 230.000 Tonnen Plastik. Das entspricht rund 500 Frachtcontainern pro Tag. Die Verschmutzung wird vor allem damit begründet, dass das Mittelmeer so dicht besiedelt ist und Wasser nur an der Straße von Gibraltar mit dem Atlantik ausgetauscht werden kann. Die spanische Ostküste ist von dem Müllproblem besonders betroffen: Barcelona gilt als eine der am stärksten verschmutzten Küsten im mediterranen Raum.

Der viele Müll im Mittelmeer besorgt auch den Aktivisten Jaume Juán Fernandéz. Mit seiner Tauchschule „Underwater Barcelona“ hat er sich seinen Arbeitsplatz direkt am vordersten Stadtstrand von Barcelona gesichert. Im hellen Morgenlicht der aufsteigenden Sonne geht er an den Plastikbechern und Zigarettenkippen im Sand vorbei und begrüßt die Ankömmlinge an der Tauchschule. „Gerade wir Tauchenden wollen Fische sehen und keinen Müll im Mittelmeer. Und das ist oft gar nicht so einfach“, sagt er. Bei seinen ersten Tauchgängen in Barcelona habe er nur einen Meter weit sehen können. Daher organisiert Juán Fernandéz seit nun sieben Jahren regelmäßig Meeres- und Strandreinigungsaktionen.

Auch an diesem Morgen sorgt er mit vielen freiwilligen Helfenden dafür, dass der Müll wieder aus dem Sand und Wasser verschwindet, bevor der Strandtag mit all seinen Besuchenden richtig beginnen kann. „Mir ist es wichtig, das Meer besser zu schützen. Dass der Strand meiner Tauchschule vom Müll befreit ist, hilft letztlich auch mir selbst: Je sauberer es ist, desto mehr Biodiversität gibt es und desto mehr Menschen kommen hierher“.

Plastikmüll am Strand
Foto: Aldward Castillo | Unsplash

Die zunehmende Verschmutzung des Meeres gefährdet die Flora und Fauna. „Das gesamte Ökosystem wird durch den Müll in Mittelmeer bedroht“, betont Meeresbiologe Odin Garcia Garin. An der Universität Barcelona forscht er an den Auswirkungen und Gründen der Verschmutzung der Ozeane. „Von Müll bedeckte Pflanzen können keine Photosynthese mehr machen, sodass ganze Arten vermutlich aussterben werden. Fast alle Meerestiere fressen Mikroplastik – die kleinen Teilchen, zu denen sich Plastikmüll mit der Zeit zersetzt. Und diese Tiere landen bei uns auf dem Teller“. Der Müll im Mittelmeer habe so auch gesundheitliche Konsequenzen für Menschen: Mikroplastik wurde bereits im menschlichen Organismus nachgewiesen. Bisher könne aber noch niemand sagen, welche Auswirkungen das genau habe, so Garcia Garin. „Sicher ist aber: gut ist es nicht“.

Mit Sauerstoffflaschen auf dem Rücken und Müllsäcken in den Händen lassen sich die Taucherinnen und Taucher in das dunkelblaue Wasser von Barcelonas Stadtstrand gleiten. Die ersten Sonnenanbeter und letzten Partygäste sitzen bereits und beobachten das Geschehen. „Ihnen ist meist gar nicht bewusst, welche Mengen Müll sich um sie herum befinden“, sagt Juán Fernandéz mit Blick auf die Strandgäst*innen. „Bei unseren ersten Tauchaktionen haben wir bis zu 60 Kilogramm Müll aus dem Meer geholt, Woche für Woche“. Ein ganzes Fahrrad hat die Tauschschule bereits aus dem Ozean geborgen. Knapp 80 Prozent des gesamten Mülls ist aber Plastik. Und das gelangt über Flüsse, durch den Wind und Regen von der Erde in das Meer.

Massentourismus und Umweltbewusstsein: ein Balanceakt am Strand

Da in Barcelona das ganze Jahr über ein strandtaugliches Klima herrscht, nimmt das Müllproblem auch im Winter wenig ab. In der Stadt herrscht mit 1,6 Millionen Einwohnenden eine hohe Bevölkerungsdichte. Und allein im Jahr 2024 kamen 26,1 Millionen Tourist*innen hinzu. Jede und jeder von ihnen konsumiert und hinterlässt damit Spuren. „Die Menschen, die ihren Müll einfach am Strand zurücklassen, sind oft Touristen, es sind aber auch genauso die Einheimischen“, findet Juán Fernandéz, „das Problem ist fehlendes Umweltbewusstsein. Und das ist nicht landesspezifisch“.

Oft kämen sogar Tourist*innen zu seinen Strandsäuberungsaktionen, um mitzuhelfen. „Viele möchten sehen, ob das, was sie zuhause im Fernsehen gesehen haben, wirklich stimmt, ob das Meer wirklich so sehr verschmutzt ist“. Juán Fernandéz hebt einen Haufen Müll aus dem Sand, „und ja, es ist Realität“. Die Menschenmassen seien ein Problem, ganz gleich ob es Tourist*innen sind oder Einheimische, sagt auch Forscher Garcia Garin: „Wo viele Menschen sind, da ist auch viel Müll“.

Menschenmassen am Strand von Barcelona
Foto: Federico Giampieri | Unsplash

Neben dem fehlenden Umweltbewusstsein vieler Strandbesuchenden bereitet aber auch die städtische Abwasserorganisation dem Meer Probleme. Wie in vielen anderen Städten der Welt ist das Abwassersystem auch in Barcelona so geregelt, dass es bei starkem Regen überschwemmt wird. Die Kläranlagen haben keine Kapazitäten, das Regenwasser aufzufangen, sodass das Wasser ungefiltert über Flüsse im Meer landet. „Das Abwasser ist leider stark verschmutzt, denn viele Menschen nutzen den Abfluss als Mülleimer“, erklärt Xavier Delgado Clos von der katalanischen Agentur für Müllverwaltung. Die Stadt bemühe sich um einen Umbau der Abwassersysteme, das benötige allerdings Zeit und Geld. Weitere große Kampagnen sind zunächst geplant, um das Problembewusstsein der Bevölkerung und der Touristenmassen zu schärfen: Müll gehört nicht ins Abwasser. Und auch nicht auf den Boden.

Denn was am Ende im Meer landet, erblickt nur selten wieder das Tageslicht. Einzelne Projekte bilden eine Ausnahme, wie Aktionen von „Underwater Barcelona“. Nach einer Stunde tauchen die ersten Köpfe der Müllsammelnden wieder aus dem Wasser auf. Mit an den Strand bringen sie die gefüllten Säcke, die sie gegenüber der Tauchschule auf einer großen Plane ausschütten. „Und schon wieder habt ihr kein Gold mitgebracht“, resigniert Juán Fernandéz beim Anblick des Inhalts. Plastikflaschen verfangen sich mit Dosen, Anglerhaken, Hygieneprodukten, halb verfallenen Handtüchern und zerrissenen Fischernetzen.

Die Gruppe aus noch tropfenden Taucher*innen kniet sich um die Müllhaufen und beginnt ihn zu sortieren. Denn in den ineinander verflochtenen Einzelstücken sind auch zahlreiche kleine Meerestiere gefangen. „Hier ist der erste“, ruft Juán Fernandéz und hält einen kleinen Krebs in die Höhe. Einen ganzen Eimer voller Tiere findet die Gruppe mit Geduld und Vorsicht in dem Müllberg, neben Krebsen auch winzige Shrimps und sogar zwei Seesterne. „Deutlicher könnten wir nicht sehen, wie sehr die Tierwelt unter dem Müll im Mittelmeer leidet“, fasst Juán Fernandéz zusammen.

Müll im Mittelmeer
Foto: Naja Bertolt Jensen | Unsplash

Der Kampf gegen den Müll: ein langsamer Wandel

Die Stadt Barcelona bemüht sich schon lange um eine Verringerung des Mülls. Jeden Morgen wird der Sand mit Maschinen umgewälzt, damit der gröbste Müll aufgesammelt werden kann. „Kleinere Teile wie Zigarettenstummel oder Plastikteile fallen aber darunter durch, eine großflächige Reinigung ist aktuell noch zu kompliziert“, erklärt Delgado Clos. Mehrmals täglich reinigen Mitarbeitende der Stadt die Promenade und den Strand auch zu Fuß. Forscher Garcia Garin hält die Strandreinigungen jedoch für wenig effektiv: „Sie tragen letztlich nichts zu der Lösung des Problems bei. Aber natürlich sind sie wichtig: Ohne Reinigungen wäre Barcelona nur ein randvoller Mülleimer“.

Auf zahlreichen Plakaten wird an der Promenade um Umweltbewusstsein gebeten: „Zuhause lassen wir unseren Müll nicht liegen. Und am Strand auch nicht“. Antisoziales Verhalten wird mit 600 Euro gefahndet, das Ordnungsamt kontrolliert das Einhalten der Regeln. Aber gegen die Menschenmassen kommt es kaum an. „Gerade nachts ist es schwer, den Überblick zu behalten. Und das ist die Zeit, in der die Leute ihre guten Absichten noch schneller vergessen“, fasst Delgado Clos zusammen. Auch wenn viele Menschen sich ein Umweltbewusstsein anrechnen, dauere es lange, um Gewohnheiten tatsächlich zu ändern.

„Oft fehlt das Bewusstsein für die Folgen der eigenen Handlungen. Wir werden weiterhin durch Kampagnen für das Verschmutzungsproblem sensibilisieren“, erklärt Delgado Clos. Gleichzeitig möchte er die Gründe für den Müll nicht nur dem Endverbrauchenden anrechnen: In der Wirtschaft fehlen kostengünstige Alternativen zu Plastik. Die Einführung eines Pfandsystems könne möglich sein oder eine Erhöhung der Preise. Dafür braucht die Stadt aber Zeit und finanzielle Mittel.

Hinweistafeln am Strand von Barcelona zum Müll im Mittelmeer
Foto: Kathrin Boehme

Und auch wenn Juán Fernandéz dem Müll im Mittelmeer bei seiner täglichen Arbeit ausgesetzt ist, sieht er optimistisch in die Zukunft: „Aktuell finden wir nur noch rund 30 Kilogramm Müll pro Tauchgang“. Er hält inne: „Wenn man da von „nur“ sprechen kann“. Gemeinsam mit seinen freiwilligen Helfenden bringt er den sortierten Müll zu den Containern an der Strandpromenade. Die Gruppe ist sich einig: Es gebe viele Menschen, die etwas ändern wollen. „Vielleicht sehen wir es allerdings nicht mehr, aber die nächste Generation.“ Die Frage sei nur: Ist das noch rechtzeitig?

Forscher Garcia Garin betont: „Das Wichtigste ist eine Reduktion der Plastikproduktion. Wir brauchen mehr Regulationen und Verbote, angefangen mit Gesetzen, die das gesamte Einmalplastik verbieten“. Außerdem appelliert er an die Bevölkerung: „Die Unternehmen und Politik haben nicht die alleinige Verantwortung, letztendlich sind wir es, die Plastik benutzen. Wir können schon beim Einkaufen auf Verpackungen verzichten und versuchen, weniger Müll entstehen zu lassen.“ Es fehle an Initiativen, die Ausmaße des Problems seien noch zu wenigen Menschen bewusst. „Trotzdem sehe ich einen positiven Wandel in den letzten Jahren“, sagt er, „deutlich mehr Leute haben zum Beispiel schon von Mikroplastik gehört. Aber es passiert langsam.“

Zumindest für die Meereslebewesen ist der Effekt der Strandsäuberungen unmittelbar spürbar. Aus den Netzen und dem Müll befreit lässt Juán Fernandéz die Krebse, Seesterne und Fische in der Nähe einiger Felsen wieder in das blaue Wasser des Stadtstrands gleiten – „ab in die Freiheit mit euch“, freut er sich. Der Strand und das Meer sind nun weitgehend von Müll befreit. Die Sonne steigt jedoch höher und damit auch die Anzahl der Menschen am Strand. Was das bedeutet, ist klar: Auch am nächsten Morgen werden die Zigarettenkippen und Plastikbecher wieder an ihrem Platz im Sand liegen.

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