Kann ein Musikfestival umweltfreundlich sein?

Das Boom Festival in der Nähe von Castelo Branco, Idanha-a-Nova, in Portugal fand diesen Sommer zum 29. Mal statt. Vor kurzem veröffentlichten sie eine aktuelle Klimabilanz für die diesjährige Ausgabe. Unsere Autorin Pia Senkel war im Juli vor Ort und hat sich angesehen, mit welchen Maßnahmen die Veranstalter*innen versuchen, das Festival so nachhaltig wie möglich durchzuführen, und wie gut das funktioniert.

Das Boom Festival ist eines der größten und bekanntesten Psytrance-Festivals der Welt. Alle zwei Jahre wird Festival von der Kulturorganisation Good Mood Lda veranstaltet. Das sogenannte Boomland – das Gelände, auf dem das Festival stattfindet – wird von dem gemeinnützigen Kulturverein IdanhaCulta verwaltet, der sich der ökologischen und kulturellen Regeneration verschrieben hat. Den Veranstalter*innen zufolge sehen sie es als ihre Verantwortung an, die Natur in einem gesünderen und lebendigeren Zustand zu hinterlassen, als sie sie vorgefunden haben. 

Die Anreise: eine Geduldsprobe

Tausende Besucher*innen warten in ihren Fahrzeugen auf den Einlass. Foto: Pia Senkel

Unser Thermometer im Auto zeigt eine Außentemperatur von 38 Grad, als wir uns in die kilometerlange Warteschlange für das Boom-Festival einreihen. Die Sonne scheint, es ist keine Wolke am Himmel zu sehen. Um uns herum sind Weidenflächen, so weit das Auge reicht – und zahlreiche Autos, Vans und Wohnmobile, in denen Festivalbesucher*innen darauf warten, endlich das Gelände des Boomfestivals zu befahren. Die Autoschlange bewegt sich kaum. Schon während unserer Fahrt nach Castelo Branco lasen wir auf der Plattform Reddit von Besucher*innen, die mehr als 15 Stunden gewartet haben sollen, bis sie endlich die Pforten des Festivals erreichten. Das bedeutet: Tausende Fahrzeuge, die in unregelmäßigen Abständen den Motor starteten und wieder stoppten. Einige Menschen um uns herum ließen stundenlang den Motor laufen, vermutlich um die Klimaanlage bei den hohen Temperaturen nutzen zu können. Andere wiederum verließen ihre Autos, suchten sich auf Picknickdecken einen Schattenplatz zwischen den wenigen Bäumen und versuchten so, die Zeit totzuschlagen.

Nach über neun Stunden Wartezeit erreichten wir das Main Gate, wo Mitarbeiter*innen einmal jeden Kofferraum öffneten, um zu prüfen, ob auf den ersten Blick Gas oder Glas zu sehen war. Die Mitnahme von Gas und Glas war aufgrund der drohenden Waldbrandgefahr verboten.

Die Autos auf den Parkplätzen waren von Staub und Sand bedeckt. Foto: Pia Senkel

Wer mit dem Fahrrad anreist, wird belohnt

Die Anreise zu einem Festival nachhaltig zu gestalten, ist nahezu unmöglich – gerade bei einem internationalen Festival wie dem Boom, das im Landesinneren von Portugal liegt und zu dem Menschen aus der ganzen Welt anreisen. Das Boomland mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen ist nicht ganz einfach, da der nächste Bahnhof in Castelo Branco liegt (52 Kilometer vom Boomland entfernt).

Die Veranstalter*innen heben vor allem die Anreise mit dem Fahrrad oder dem Boom-Bus hervor, um den CO₂-Fußabdruck zu minimieren. Radfahrer*innen erhalten sogar einige Privilegien: Sie dürfen bereits einen Tag früher als Erste das Haupttor des Festivals betreten und können im sogenannten Bike Village übernachten, welches sich mitten auf dem Festivalgelände befindet. Dort haben sie unter anderem Zugang zu einer überwachten Fahrradaufbewahrung und einer Selbstbedienungs-Reparaturzone mit Werkzeugen.

In diesem Jahr sind 106 Boomer*innen aus 18 verschiedenen Ländern mit dem Fahrrad angereist. Foto: Pia Senkel

Die Boom-Busse fahren von den Flughäfen in Lissabon, Porto und Madrid. Insgesamt 18,700 Menschen – sowohl Besucher*innen als auch Künstler*innen – nahmen den Boom-Bus in diesem Jahr. Ob die Anreise mit dem Flugzeug und anschließenden Bus wirklich nachhaltiger ist als die direkte Anfahrt mit dem eigenen Fahrzeug, hängt individuell von Strecke, Auto und Anzahl der Personen ab. Einige Boomer*innen werden sicher auch mit Bus oder Zug zu den Flughäfen gekommen sein, aber gerade für Menschen von anderen Kontinenten besteht diese Option in der Regel nicht. Ein Vorteil: Boom-Busse halten sehr zentral auf dem Festivalgelände, sodass man verkürzte Wege zu den Campingflächen hat. Ein Nachteil: Die Anreise mit den Bussen verlief ähnlich chaotisch wie die Anreise mit dem Auto. Auch hier berichteten Besucher*innen von stundenlangem Warten in der prallen Sonne. 

Um die Anreise mit dem Auto nachhaltiger zu gestalten, arbeiten die Veranstalter*innen mit einer Mitfahrplattform zusammen. Besucher*innen aus Frankreich, Belgien und der Schweiz hatten zudem die Möglichkeit, eine Busreise mit einem Reiseveranstalter direkt zum Boomland zu buchen.

Mülltrennung auf dem Festivalgelände

Anders als auf vielen Festivals in Deutschland wurden die Getränke nicht in Mehrweg-Pfandbechern ausgegeben, sondern in Dosen und Aluminium-Wasserflaschen, die anschließend recyclet werden. An einigen wenigen Bars gab es Boom-Becher mit Pfand. Das Geschirr und Besteck an den Essensständen besteht aus biologisch abbaubaren Materialien und kann kompostiert werden. Soweit wir das beobachten konnten, haben die meisten Besucher*innen auch auf die korrekte Mülltrennung geachtet.

Besucher*innen des Boom-Festivals werden dazu ermutigt, ihren Müll zu trennen. Foto: Pia Senkel

Im Boomland gibt es rund 500 Müllstationen, an denen Müll getrennt wird. Das Boom-Festival beschäftigt mehr als 200 Mitarbeiter*innen in ihrem Umweltteam, welches die Mülltonnen prüft und sicherstellt, dass die Abfälle korrekt nach Kunststoff, Papier, Glas und Metall sortiert werden. Durch diesen Prozess verzichten die Veranstalter*innen auf mechanische Verfahren zur Trennung der Materialien und verhindern so unnötige CO₂-Emissionen. Die sortierten Behälter werden anschließend von einer Abfallrecyclinganlage verarbeitet.

In diesem Jahr wurden den Veranstalter*innen zufolge 33,9 Tonnen Glas, 43 Tonnen Papier, 48,5 Tonnen Plastik, 39,47 Tonnen Biomüll, 25,3 Tonnen Metalle und 95,5 Tonnen Restmüll recyclet. Das zeigt zum einen, wie viel Müll bei einem Festival in dieser Größe anfällt. Zum anderen verdeutlicht das auch, wie viele wertvolle Ressourcen Festivals verschwenden, wenn sie kein funktionierendes Recyclingsystem etablieren. 

Auch die Verkäufer*innen werden dazu aufgerufen, ihre Speisen so nachhaltig wie möglich anzubieten – so waren alle Becher wiederverwendbar und das Geschirr sowie die verwendete Seife biologisch abbaubar. 90 Prozent der angebotenen Gerichte waren vegetarisch oder vegan. Die Veranstalter*innen betonen hierbei allerdings, dass sie ihren Besucher*innen nicht vorschreiben möchten, dass sie sich pflanzlich zu ernähren haben, sondern sie wollen durch eine kuratierte Auswahl an Essensständen zum Nachdenken anregen. Ein Großteil der Zutaten stammt aus biologischem Anbau und möglichst aus der Region – in einem Land, in dem Bio-Landwirtschaft bislang nur 6,5 Prozent der Anbauflächen ausmacht.

Komposttoiletten und Duschzeiten

Auf dem Boom-Festival gibt es ausschließlich Komposttoiletten, keine Dixi-Klos. Foto: Pia Senkel

Nicht nur der Müll wird wiederverwertet, sondern auch die menschlichen Ausscheidungen: Komposttoiletten sind schon längst keine Seltenheit mehr in der europäischen Festivallandschaft. Beim Boom finden sich in jeder Telefonkabine Informationsplakate, die erklären, wie eine Komposttoilette zu benutzen ist, wie sie funktioniert und was am Ende mit den Ausscheidungen passiert. Beim Boom-Festival sind die Toiletten fast immer sauber gewesen und haben kaum gestunken, was auf anderen Festivals mit Komposttoilette nicht automatisch der Fall ist. Insgesamt 538 Komposttoiletten standen den Besucher*innen in diesem Jahr zur Verfügung, was einer Steigerung von 17,7 Prozent gegenüber 2023 entspricht.

Detaillierte Informationen zu den Komposttoiletten finden sich auf der Webseite: Alle vier Stunden gehen Mitarbeiter*innen alle Komposttoiletten ab. Sie fügen in alle Kanister eine Schicht aus Torf, Kiefernrinde, Holz und fermentiertes Getreide hinzu, um am Ende organischen Dünger zu erzeugen. Mit der hergestellten Komposterde können beispielsweise Blumen, Bäume und Nutzgärten im Boomland genährt werden. Außerdem sind Komposttoiletten chemikalienfrei und benötigen kein Wasser.

Die Duschzeiten auf dem Boom-Festival sind begrenzt, um den Wasserverbrauch zu minimieren. Foto: Pia Senkel

Wasserknappheit ist in Portugal ein großes Problem: Im Jahr 2022 waren 96 Prozent der Landesfläche von Dürre betroffen. Die Veranstalter*innen rufen ihre Besucher*innen daher explizit dazu auf, bei der „Rettung des Tropfens” zu unterstützen. An den vielen kostenlosen Wasserstellen wurde immer auf die sparsame Nutzung hingewiesen. Die Duschzeiten sind begrenzt, man kann nur morgens von 8 bis 12 Uhr und abends von 19 bis 0 Uhr duschen. Dadurch soll vermieden werden, dass Besucher*innen die kalten Duschen nutzen, um sich tagsüber abzukühlen – das kann man im See machen. Während der acht Tage des Festivals wurden pro Besucher*in täglich 16,5 Liter Wasser verbraucht. Zum Vergleich: In Deutschland nutzt jeder Mensch durchschnittlich 128 Liter Wasser pro Tag.

Insgesamt wurden beim Boom-Festival in diesem Jahr 5,9 Millionen Liter Wasser verbraucht, wovon 2,4 Millionen Liter zur Wiederverwertung in eine eigene Wasseraufbereitungsanlage sowie 830.000 Liter in eine kommunale Aufbereitungsanlage geschickt wurden.

„Endangered Species: Drop of Water“. Auf dem Festivalgelände wird immer wieder daran erinnert, dass die Besucher*innen sparsam mit Wasser umgehen sollen. Foto: Pia Senkel

Bauen im Einklang mit der Natur

Überall auf dem Gelände finden sich dekorative Bauwerke. Foto: Pia Senkel

Wer über das Boom-Gelände läuft, sieht fantasievolle Bauten aus Bambus, Lehm oder Holz. Vieles davon ist handgemacht, wiederverwendet oder biologisch abbaubar. Seit über einem Jahrzehnt verfolgt das Festival einen Ansatz der sogenannten Bio-Konstruktion: Baumaterialien wie Ton, Weide, Stroh oder zertifiziertes Holz stammen zum Teil direkt aus der Umgebung und werden nach dem Festival sorgfältig abgebaut, eingelagert und erneut genutzt. Auch Seile, Metallteile und Bühnen-Elemente werden nach jeder Ausgabe technisch überprüft und möglichst weiterverwendet. Selbst Dekostoffe aus früheren Jahren finden neue Verwendung. Das Ziel: ein möglichst geschlossener Materialkreislauf, minimale Rückstände auf dem Gelände und maximale Anpassung an die Natur. Denn wie Boom selbst sagt: Bauen ist das bewusste Eingreifen in die Umwelt und genau das soll hier so behutsam wie möglich geschehen.

Die Veranstalter*innen experimentieren zudem seit Jahren mit Lösungen, die den Energiebedarf des Festivals nachhaltiger decken sollen. Bereits 2008 wurde damit begonnen, gebrauchte Frittieröle aus Restaurants zu sammeln und als Treibstoff für Generatoren zu verwenden – allein in diesem Jahr wurden so 117 Tonnen CO₂ eingespart. Seit 2010 findet das Boom Festival auf dem heutigen Boomland statt, wo mittlerweile zahlreiche Photovoltaikanlagen und Generatoren Strom erzeugen. Die Generatoren werden durch eine Kombination aus Wind- und Solarenergie sowie konventionellem Kraftstoff angetrieben. 2012 stammte rund ein Viertel der Energie aus autarken Off-Grid-Systemen, die unabhängig vom öffentlichen Stromnetz arbeiten und eine lokale Stromversorgung ermöglichen. 2016 wurden 90 Prozent des Campingplatzes durch Solarbeleuchtung mit Strom versorgt. Leider haben die Veranstalter*innen in den letzten Jahren keine aktuellen Zahlen mehr veröffentlicht.

Eine Herausforderung: die Besucher*innen

Die Veranstalter*innen versuchen schon vor dem Festival die Besucher*innen für den bewussten Umgang mit der Natur und die nachhaltigen Maßnahmen zu sensibilisieren – über Informationen auf der Webseite, in der App und per Mail. Ob sich die Besucher*innen die Informationen dann wirklich durchlesen, lässt sich natürlich nicht kontrollieren. Auch bei einem Festival wie dem Boom, bei dem die Veranstalter*innen einen so großen Wert auf den Schutz der Natur legen, handeln nicht automatisch alle Besucher*innen immer nachhaltig.

Diese Anleitung hing auf allen Komposttoiletten. Foto: Pia Senkel

Bei den Komposttoiletten wird beispielsweise in jeder Kabine auf zwei Plakaten explizit darauf hingewiesen, dass der Toilettendeckel nach der Nutzung heruntergeklappt werden muss, um die Wärme für die Kompostierung zu speichern. Teilweise gab es sogar ein Band, das dafür gesorgt hat, dass der Deckel automatisch zuklappt. Trotzdem hat man immer wieder Toiletten betreten, bei denen das nicht passiert ist. Einige Boomer*innen hielten es insbesondere nachts auch nicht für nötig, sich bei den Toiletten anzustellen, sondern entleerten sich einfach an den vielen Büschen und Bäumen. Boom hat im Rahmen eines Wiederaufforstungsprogrammes in den letzten 15 Jahren über 1.500 Bäume und tausende Sträucher gepflanzt – eigentlich, um den Besucher*innen Schatten und Vögeln und Insekten ein Zuhause zu bieten. Allein zwischen 2023 und 2025 wurden 207 neue Bäume sowie 343 Sträucher und Pflanzen gepflanzt.

Auf dem Campingplatz wurden wir jeden Morgen von Motorgeräuschen und dem Geruch nach Abgasen und Diesel begrüßt, weil einige Besucher*innen um uns herum regelmäßig die Motoren ihrer Camper einschalteten, wahrscheinlich um Handys zu laden, zu kochen oder das Fahrzeug herunterzukühlen. Und in den Duschen wurden nicht – wie vorher vom Boom gefordert – ausschließlich biologisch abbaubare Shampoos und Duschgele verwendet, sondern oft herkömmliche Produkte.

Tagsüber verbringen viele Besucher*innen Zeit am See, um sich bei 30 bis 40 Grad Celsius abzukühlen. Foto: Pia Senkel

Die Anreise bleibt der größte Emissionentreiber

Das größte Problem, welches das Boom sowie alle großen Festivals betrifft, wird weiterhin die Anreise sein. In der aktuellen Datenauswertung haben die Veranstalter*innen den Mobilitäts-Fußabdruck des Festivals erfasst: Insgesamt wurden durch die Anreise von Besucher*innen und Künstler*innen sowie Transporte mit dem Boom Bus, in der Produktion und von Zulieferern 22,101 Tonnen CO2 verursacht. Davon sind 98,2 Prozent allein auf die Besucher*innen zurückzuführen. Von den von Besucher*innen verursachten 21,702 Tonnen CO2 entfallen 6,9 Prozent auf Vanreisende, sieben Prozent auf Autofahrer*innen, 23,6 Prozent sind durch innereuropäische Flüge entstanden und 59,1 Prozent entfallen auf Flüge von anderen Kontinenten. Auch Zugreisende, Busreisende und Fahrradfahrende tauchen in der Statistik auf, machen aber mit 0,4 Prozent, 0,3 Prozent null Prozent nur einen Bruchteil der CO2-Emissionen aus. Hinzu kommen 2,7 Prozent, die mit anderen Verkehrsmitteln wie Motorrädern anreisten.

Ein internationales, großes Festival wird niemals nachhaltig sein. Trotzdem können Veranstalter*innen viel dafür tun, ein Festival so umweltverträglich wie möglich zu gestalten. Wenn aber nicht alle Besucher*innen ebenfalls die Notwendigkeit sehen, sich umweltbewusst zu verhalten, können auch die besten Systeme nicht den erwünschten Zweck erfüllen.

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