Die Klimakrise konfrontiert die Menschheit mit der Tatsache, dass die über Jahrhunderte fortgeschriebene Trennung von Natur und Kultur an ihre Grenzen stößt. Wollen wir unseren Planeten retten, sind große Visionen gefragt. Aber werden gigantische Geoengineering-Lösungen zu einem noch größeren Risiko?
Unsere Gastautorin Lee Ann Reyneke befragt Denkansätze der Philosophie.
Die Szene wirkt wie aus einem dystopischen Roman entnommen. Die hohe Gage und das Anwesen, zu dem der Professor Douglas Rushkoff mit einer Limousine gebracht wird, um einen Vortrag zu halten, lassen auf reiche Auftraggeber schließen. Anstatt in einen Vorlesungssaal wird Rushkoff in einen kleinen Konferenzraum geführt, wo sich einige Augenblicke später eine Gruppe von Männern zu ihm gesellt: Rushkoffs sehr vermögendes Publikum.
Schnell wird Rushkoff klar, dass sein Vortrag das vor ihm sitzende Publikum wenig interessieren wird. Nach einem kurzen Kennenlernen zwischen Rushkoff und den Gastgebern – Millionären und Milliardären – beginnen diese ihm Fragen zu stellen. Rushkoff soll Stellung dazu beziehen, welche technischen Innovationen im Fall eines kompletten Zusammenbruchs der nationalen und internationalen Systeme aufgrund des Klimawandels und anderer Krisen relevant werden könnten. Die vor Rushkoff sitzenden Männer haben bereits fertig installierte Bunker unter der Erde. Nun überlegen sie, wie im Ernstfall die Loyalität der Servicekräfte sichergestellt werden kann: Wäre an dieser Stelle ein elektrisches Halsband oder eine an die eigene Person gekoppelte Verwahrung von Lebensmitteln zielführender?
Superreiche basteln an ihrer eigenen Welt
In seinem Buch „Survival of the Richest – Warum wir vor den Tech-Milliardären noch nicht mal auf dem Mars sicher sind“ beschreibt Douglas Rushkoff, wie er eingeladen wird, einen Vortrag über die Zukunft von Technologien zu halten. Diese Szenen illustrieren nicht nur die Ängste der Superreichen, sondern verweist auch auf eine Denkweise, die die Klimakrise nicht mit politischem oder gesellschaftlichem Wandel, sondern mit radikalen technischen Lösungen beantworten will.
Während einige Superreiche bereits an der post-apokalyptischen Welt basteln, in der Loyalität durch Technologie erzwungen wird, setzen andere auf eine andere noch weitreichendere Form der Kontrolle: Geoengineering. Statt sich in Bunkern zu verschanzen, soll die Atmosphäre selbst manipuliert werden – um die Klimakrise zu bremsen oder gar umzukehren.

Wie die Erde gekühlt werden könnte
Die Forschungsansätze im Bereich „Geoengineering“ reichen von Projekten, die Sonnenlicht reflektieren und so den Planeten kühlen sollen, bis zu Technologien, die Kohlendioxid gezielt aus der Atmosphäre entfernen und dauerhaft speichern. Unter dem Begriff des Solar-Radiation-Management werden diejenigen Maßnahmen zusammengefasst, welche Sonneneinstrahlung vermindern sollen um dann die Erderwärmung einzudämmen. Beispielsweise könnten Aerosole in die Stratosphäre injiziert werden, um eine Verdunklung des Himmels herbeizuführen. Denkbar wären auch gigantische Spiegel im Weltraum, die Sonnenstrahlen von der Erde fernhalten.
Der Ansatz des Carbon Dioxide Removal (CDR) versucht, den CO2-Ausstoß rückgängig zu machen. Diese sollen die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre und eine Speicherung des CO2 – beispielsweise im Meeresboden oder in Steinen – ermöglichen. Dazu gehört auch das Aufforsten im industriellen Maßstab.
Auf den ersten Blick erscheinen diese Methoden eine verlockende Option. Denn die Folgen der globalen Erwärmung sind längst spürbar: Hitzewellen, Überflutungen, steigende Meeresspiegel und ein beschleunigter Verlust an Ökosystemen prägen den Alltag in vielen Regionen der Welt. Nach Berichten des durch die EU finanzierten Copernicus-Erdbeobachtungsprogramms war die Durchschnittstemperatur auf der Erde 2024 erstmals um 1,5 Grad höher als in vorindustrieller Zeit. Viele sehen die Klimaziele des Pariser Klimaabkommens damit bereits verfehlt. Mit Hilfe von Geoengineering könnte der Planet gekühlt, das Schmelzen von Permafrost, Gletschern und eine terrestrische Kohlenstoffsenke verhindert sowie das Ansteigen des Meeresspeigels verlangsamt werden.
Risikoreiches Vorhaben mit ungewissem Ausgang
Befürworter*innen von Geoengineering argumentieren, dass Strategien zur Senkung von Emissionen nicht umgesetzt werden und in den Fällen, wo sie realisiert werden, nicht ausreichend und schnell genug greifen. Demgegenüber werden die mit Geoengineering einhergehenden Risiken als weniger verheerend eingeschätzt als jene des Klimawandels. Hinter dieser Argumentation steht ein Weltbild, nach dem die heute geltenden menschlich geschaffenen Strukturen zu starr sind, um einen tiefgreifenden Wandel erfahren zu können. Dies wäre jedoch Voraussetzung für eine wirklich erfolgreiche Emissionsminderung.
Anders ausgedrückt: Wer eine Lösung innerhalb der geltenden (kapitalistischen) Systeme sucht, dem wird Geoengineering als attraktive Alternative erscheinen. Gleichzeitig riskiert man mit solchen Maßnahmen regionale Dürren, Ozonabbau, weniger Sonnenlicht für Solarenergie und einen weiß gefärbten Himmel. Zudem würde es die erdgebundene optische Astronomie behindern und nichts gegen die Versauerung der Ozeane bewirken. Vor allem aber gilt: Einmal ausgelöst, wären viele dieser Prozesse kaum umkehrbar. Schon Testversuche könnten Effekte entfalten, die sich nicht mehr rückgängig machen lassen.
Gleichzeitig riskiert man mit solchen Maßnahmen regionale Dürren, Ozonabbau, weniger Sonnenlicht für Solarenergie und einen weiß gefärbten Himmel
Machtfragen im globalen Maßstab
Die Auseinandersetzung mit Geoengineering ist deshalb nicht nur eine wissenschaftliche, sondern auch eine zutiefst politische Debatte. Denn wer entscheidet über Eingriffe in das globale Klimasystem? Sollten einige wenige Staaten oder Unternehmen in der Lage sein, das Wettergeschehen des gesamten Planeten zu beeinflussen, womöglich ohne internationale Zustimmung?

Die Klimakrise und der Verlust von Lebensräumen und Biodiversität resultieren unter anderem aus einem grundsätzlich problematischen Verhältnis zwischen Menschen und ihrer Umwelt sowie der betroffenen Natur: Beides wäre wahrscheinlich gar nicht erst entstanden, wäre schon früher auf die Bedürfnisse nicht-menschlicher Entitäten (wie Tiere und Pflanzen) geachtet worden.
Politische Ökologie und Gerechtigkeit: Philosophische Perspektiven auf Geoengineering
Einer der Vertreter eines Ansatzes, der die Natur-Kultur-Trennung hinterfragt, ist Bruno Latour, einer der einflussreichsten Denker der Gegenwart. Er hat Schriften im Bereich der Soziologie, Wissenschaftstheorie, Technikforschung und Umwelttechnik veröffentlicht. Latour hat darauf hingewiesen, dass in Fragen der Umwelt nicht nur menschliche Interessen zählen dürfen. Auch Flüsse, Wälder, Tiere oder Böden müssten als Agierende in Entscheidungsprozessen einbezogen werden. Ein solcher Perspektivwechsel würde das Verständnis von Politik grundlegend verändern.
In seinem Buch „Das Parlament der Dinge“ versucht Latour, die Trennung zwischen Natur und Kultur aufzulösen und anderen als menschlichen Organismen di Fähigkeit zum politischen Handeln zurückzugeben. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass menschliche und nicht-menschliche Entitäten in einem Wechselverhältnis zueinanderstehen und sich gegenseitig beeinflussen. Ein passendes Beispiel ist der Verlust an Biodiversität: Die Bedürfnisse vieler pflanzlichen und tierlicher Arten sind wegen des Verlusts an Lebensraum und Ressourcen für Nahrung nicht mehr gedeckt. Die Folge: Immer mehr Arten sterben aus. Das Ergebnis ist ein fragiler werdendes Ökosystem, woran die landwirtschaftliche Lebensmittelproduktion angepasst werden muss.
Dieses Beispiel verdeutlicht, dass auch andere Organismen Handlungsmacht ausüben. Bruno Latour bewertet die Reduzierung der Natur auf eine bloße Kulisse menschlicher Handlungen als unwürdig. Er drückt es folgendermaßen aus:
„Die nicht-menschlichen Wesen haben wahrlich Besseres verdient, als auf unbestimmte Zeit die recht unwürdige, vulgäre Rolle des Objektes auf der großen Bühne der Natur zu spielen.“ Latour schlägt daher vor, Pflanzen und Tiere mithilfe der modernen Wissenschaften zum „Sprechen“ zu bringen. Ihre Interessen sollen nicht nur berücksichtigt, sondern „gehört“ werden. Diese Vision würde eine wirkliche politische Ökologie ermöglichen und die Demokratie stärken.

Gerechtigkeit? Eine Frage der Mitbestimmung!
Der deutsche Philosoph Jürgen Habermas ist einer der meistzitierten Philosophen der Gegenwart. Er beschäftigte sich mit der Bedeutung von Gerechtigkeit und Teilhabe in demokratischen Gesellschaften. Aus seiner Sicht müssen alle Betroffenen zumindest theoretisch zustimmen können. Habermas nennt das einen „herrschaftsfreien Diskurs“. Für die Debatten um Geoengineering-Technologien bedeutet das die Notwendigkeit, alle Perspektiven miteinzubeziehen. Gerade weil diese Voraussetzung aufgrund der Natur-Kultur-Trennung nicht erfüllt wird, kann die Debatte um grundsätzlich Geoengineering als moralisch problematisch gesehen werden.
Noch immer gelten Tiere im westlichen Rechtssystem als Sache, nicht als Rechtssubjekte. Ökosysteme, Flüsse oder Gletscher haben keine Stimme, obwohl sie von Eingriffen wie Geoengineering unmittelbar betroffen wären. Ob Geoengineering also zur Rettung vor der Klimakatastrophe beiträgt oder eine neue Form menschlicher Hybris darstellt, hängt nicht allein von den technischen Möglichkeiten ab. Bevor über konkrete Maßnahmen gesprochen wird, muss erst mal geklärt werden, wie man überhaupt sinnvoll und demokratisch miteinander reden kann – erst dann entstehen auch wirklich nachvollziehbare und gerechte Lösungen.
Entscheidend wird sein, ob es gelingt, die anstehenden Fragen in einem wirklich umfassenden Diskurs zu verhandeln – einem Diskurs, der nicht nur den Interessen einzelner Staaten oder Konzerne folgt, sondern auch die Rechte jener anerkennt, die bisher kein Gehör finden. Nur dann ließe sich vermeiden, dass eine Lösung, die als Rettung gedacht ist, am Ende selbst zur Katastrophe wird.