Die mediale Dauerkrise zieht uns in die Überforderung. Sehen wir uns ständig nur in der Pflicht, kommt es schnell zur Ohnmacht. Unsere Autorin kommt zu dem Schluss: Gerade das Staunen über die Schönheit der Natur kann uns helfen, dem Krisenmodus zu entkommen.
In Flammen stehende Wälder, hungrige Eisbären, die auf einsamen Eisschollen herumtreiben, Überflutungen und Massensterben. Das sind die Bilder, die zu Platzhaltern der Berichterstattung über den Klimawandel geworden sind. Porträtiert wird hier ein Notstand, in dem das „blühende“ Leben auf dem Spiel steht. Wissenschaftler:innen stufen Schwellen als irreversibel überschritten ein und erklären das Anthropozän – jenes Zeitalter, in dem der Mensch selbst zum entscheidenden geologischen Faktor wurde – zu einer anhaltenden Krise. Zur Debatte rund um das Zeitalter des Anthropozän haben wir bereits berichtet. Doch die Klimakrise geht weit über einen wissenschaftlichen Begriff hinaus; es ist eine Krise, die unser Leben und unsere Verantwortung unmittelbar berührt
Von Bilderfluten und Überschwemmungen
In täglicher Manier berichten Medien von schlechten Nachrichten, seien es Kriege, Naturkatastrophen oder die Erschöpfung planetarer Ressourcen. Wie aber positioniert man sich in dieser Flut an Problemen, ohne der Überforderung zu erliegen? Kulturkritikerin Olivia Laing kriegt diese Überstimulierung vom Schwall aus Nachrichtenbildern und Berichterstattungen in ihrem Buch „Funny Weather: Art in an Emergency“ gut gefasst:
„Frankly the news was making me crazy. It was happening at such a rate that thinking, […] felt permanently balked. Every crisis, every catastrophe […] was instantly overridden by the next. There was no possibility of passing through coherent stages of emotion, let alone thinking about responses or alternatives.
— Olivia Laing
Die Bilderfluten von Überschwemmungen, Hungersnot und anderen Folgen des Klimawandels gipfeln sich demnach nicht nur in einem Zustand von Ohnmacht, Angst und Hilflosigkeit, sondern können auch, durch den nicht wirklich existierenden Raum für notwendige Verarbeitungsprozesse, in einer Art Abstumpfung münden.
Das Anthropozän und sein Angstnarrativ sind somit eine emotionale Realität, die jedoch in ungleicher Weise gespürt und verhandelt wird, denn nicht jede:r ist dem Dauerrauschen gleichermaßen ausgeliefert. Während manche gar keine Pause mehr vom Alarmzustand kennen, ihm vielleicht sogar in direkter Weise ausgesetzt sind, können sich andere es leisten, Abstand vom Nachrichtenstrom zu nehmen, ihn zu unterbrechen und der Ohnmacht leichter zu entkommen. Ein Luxus, der im globalen Maßstab nicht gleich verteilt ist und sich als stilles Privileg festigt. Zwischen Angst und Verantwortung klafft eine Lücke.
Das bequeme Wir
In diesem Sinne ist es ein entscheidendes Moment des Anthropozäns, dass es die Menschheit als Kollektiv adressiert. Die Verantwortung für den menschengemachten Klimawandel wird damit gemeinsam getragen. Expert:innen wie Eva Horn und Franz Adloff kritisieren diesen bequem gewordenen Sammelbegriff der Menschheit aufgrund seiner Kollektivierung und der daraus resultierenden Ausblendung von Unterschieden und Privilegien.
Anstatt Verantwortung in Individuen zu entfachen, wird sie eher verwischt und eine „abstrakte, ebenso gleichermaßen betroffen, wie gleichermaßen schuldige Menschheit“ geschaffen. Die notwendige individuelle Verantwortung löst sich damit im weitesten Sinne auf. Nicht nur erhält die Verantwortung damit eine neue politische Bedeutung, sondern auch das Ausspielen von Privilegien selbst wird zur politischen Haltung.
Adloff bringt es auf den Punkt: Verantwortlich ist kein abstraktes Wir, sondern vor allem der „Westen mit seinen kapitalistischen Wirtschaftssystemen, wenn es um das Überschreiten der planetarischen Grenzen geht.
Damit zeigt sich, dass gerade jene, die Verantwortung tragen, oft am ehesten den Luxus haben, abzuschalten, schon aus dem einfachen Grund, dass sich die unmittelbaren Auswirkungen der Notstände nicht vor ihrer Haustür befinden.
Wie kann nun aber die „lähmende“ Ohnmacht überwunden werden, ohne sich entweder in der Haltung des Abstands oder in maßloser Überforderung zu verlieren? Wie kann hier eine Neuorientierung, ein Bewusstsein für Verantwortung und ein Wille zum Handeln entstehen?
Von der Angst zum Staunen
Ohnmacht zu überwinden heißt, Verantwortung nicht länger in Abstraktheit verschwinden zu lassen. Sie muss in unserem Alltag konkret werden; in der Art und Weise, wie wir konsumieren und politische Entscheidungen treffen, mitbestimmen. Doch Verantwortung nur als Pflicht zu denken, kann gleichermaßen Gefahr laufen, in Überforderung zu münden. Die Klimaaktivistin Gail Bradbrook zeigt, dass es einen anderen Ansatz geben kann: „I have engaged with the potential destruction of this world on an emotional level […] you start to come through that initial shock and feeling of loss and there is a renewed appreciation of the beauty of the world.“
Das Staunen, der bewusste Blick auf das, was trotz allem noch existiert, kann Handeln auf eine nicht überfordernde Weise nachhaltig inspirieren, wie der kleine Garten von der Künstlerin Alexandra Ginsberg vor dem Berliner Naturkundemuseum. Er schafft durch blühende Vielfalt nicht nur einen bewussten Lebensraum für Insekten, sondern bietet auch den Menschen einen Ort, an dem Biodiversität sichtbar ist und bestaunt werden kann.
Hier denke ich an Sara Ahmed, die Gefühlen wie dem Staunen enormes politisches Potenzial zuschreibt, da sie sich in alles und alle einschreiben; Individuen und Kollektives formen und strukturieren. Staunen kann so gesehen eine alternative Zeitlichkeit öffnen, indem es sich gegen die (Zukunfts-)Ängste stellt, die oftmals mit Krisennarrativen verbunden sind.
Während Angst die Zeit als Bedrohung erscheinen lässt, etwa durch irreversible Zerstörung oder Unsicherheiten, ermöglicht Staunen eine neue Perspektive auf das Hier und Jetzt, ohne die Zukunft auszublenden.
Das heißt nicht, dass die Angst damit verdrängt wird, sondern dass sie sich in eine Quelle für neu verspürten Handlungswillen verwandeln lassen kann. Vielleicht liegt die eigentliche Kraft am Ende in der Kombination von politischer Schärfe und sanftem Perspektivenwechsel, die es uns erlaubt, sich Schritt für Schritt aus Überforderung, Lähmung und Abstand herauszubewegen.
Ein wunderbar geschriebener Artikel. Ich konne mich sehr wiederfinden. Wissenschaftlich sowie sprachlich sehr gut ausgearbeitet.